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Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren

Stellungnahme der Schweizerischen Orthographiekonferenz

zu den «Empfehlungen des Arbeitskreises für Rechtschreibregelung» (Wiesbadener Empfehlungen)

[20./21. 8. 1963, Zürich; auszug. Ein umfangreicher auszug erschien in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 6. 11. 1963.]

Herausgegeben von der Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren in Verbindung mit dem Eidgenössischen Departement des Innern

INHALTSVERZEICHNIS

Vorwort 3
Grundsätzliches 7
I. Groß- und Kleinschreibung 8
II. Zeichensetzung 14
III. Silbentrennung 16
IV. Doppelformen 17
V. Fremdwörter 18
VI. Zusammen- und Getrenntschreibung 19
VII. Zur Frage des Scharf-s 22
Anhang I 24
Anhang II 32
Anhang III 34

Im vorliegenden Bericht ist auf folgende Publikationen Bezug genommen:

Empfehlungen des Arbeitskreises für Rechtschreibregelung. Heft 2 der Duden-Beiträge. Bibliographisches Institut Mannheim.
Groß- oder Kleinschreibung? Ein Hauptproblem der Rechtschreibreform. Heft 1 der Duden-Beiträge. Von Prof. Hugo Moser. Bibliographisches Institut Mannheim.
Mitteilungen der Oesterreichischen Kommission für Orthographiereform. Hefte I und II. Hermann Böhlaus Nachfolger, Graz-Wien-Köln.

VORWORT

Die Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren, die sich seit Jahren mit den Problemen der Rechtschreibreform befaßte, hat am 13. September 1962 unter ausdrücklicher Genehmigung und anerkennenswerter Mitarbeit des Eidgenössischen Departements des Innern in Bern einen Vorberatenden Fachausschuß (VFA) für die Rechtschreibreform eingesetzt. Folgende Herren stellten sich für die Mitarbeit im VFA zur Verfügung:

Walter Heuer, Chefkorrektor der «NZZ», Küsnacht
Prof. Dr. R. Hotzenköcherle, Universität Zürich
Dr. phil. Ernst Müller, Sekundarlehrer, Dietlikon ZH
Ständerat und Regierungsrat Dr. Fritz Stucki, Netstal GL
alt Regierungsrat Theo Wanner, Schaffhausen
Prof. Dr. Hans Zbinden, Universität Bern
Prof. Dr. Rudolf Zellweger, Universität Neuenburg

In fünf halbtägigen Sitzungen hat der VFA die «Empfehlungen des Arbeitskreises für Rechtschreibregelung» (WE — «Wiesbadener Empfehlungen») und die «Mitteilungen der Oesterreichischen Kommission für die Orthographiereform» (Mitt.) besprochen. Das Ergebnis dieser vorbereitenden Sichtung ist an der Schweizerischen Orthographiekonferenz, die am 20. und 21. August 1963 in der Universität Zürich tagte, eingehend behandelt worden. An dieser Konferenz haben die nachfolgenden Herren teilgenommen:

Dr. Franz Beidler, Schweizerischer Schriftstellerverein, Zürich
Fritz Bondy, Schweizerischer Schriftstellerverein, Zürich
Antoine Borel, Sekretär der Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren, Marin NE
Alfred Falk, Arbeitsausschuß der Schweizer Korrektoren, Frauenfeld
Mac Freihofer, Schweizerischer Buchdruckerverein, Zürich
Dr. Erwin Haller, bund für vereinfachte rechtschreibung, Aarau
Arthur Herb, Schweizerischer Typographenbund, Bern
Prof. Dr. R. Hotzenköcherle, Vereinigung schweizerischer Hochschuldozenten, Zürich
Dr. Claudio Hüppi, Katholischer Lehrerverein, Zug
Dr. Atem Kuhn, Schweizerischer Zeitungsverlegerverband, Zürich
Frl. Dr. E. Maurer, Schweizerischer Universitätsrektorenverband, Zürich
Dr. Kurt Meyer, Deutschschweizerischer Sprachverein, Zürich
Dr. A. Miller, Zentralstelle für Hochschulwesen, Zürich
Prof. Dr. Ernst Risch, Schweizerische Geisteswissenschaftliche Gesellschaft, Kilchberg
Dr. Paul Scherrer, Verein schweizerischer Bibliothekare, Zürich
Walter Schmidiger, Schweizerische Buchdruckergewerkschaft, Bottmingen BL
Friedrich Spieß, Schweizerischer Faktorenverband, Zürich
Dr. Jakob Stämpfli, Schweizerischer Buchhändler- und Verlegerverein, Bern
Robert Stöckli, Verein schweizerischer Gymnasiallehrer, Basel
Prof. Dr. Eduard Studer, Akademische Gesellschaft schweizerischer Germanisten, Freiburg
Dr. Robert Uzler, Sektionschef-Adjunkt im Departement des Innern, Bern
Dr. Walter Vögeli, Schweizerischer Lehrerverein, Zürich
Dr. F. Weber, Bundeskanzlei, Bern
Dr. Walter Winkler, Schweizerischer Kaufmännischer Verein, Zürich

sowie die obenerwähnten Mitglieder des Vorberatenden Fachausschusses.

Protokollführer: Ernst Grünenfelder, Sekretär der Erziehungsdirektion, Glarus

Als Gäste waren anwesend die Herren:

Prof. Dr. H. Glinz, Essen
E. Wyß, Sekretär der Lehrmittelkommission für Sekundarschulen und Progymnasien des Kantons Bern, Münchenbuchsee

In der vorliegenden, von den Herren W. Heuer und Prof. R. Hotzenköcherle verfaßten Broschüre wird so knapp als möglich die Stellungnahme der Schweizerischen Orthographie­konferenz festgehalten. Die Kenntnis der «Empfehlungen des Arbeitskreises für Rechtschreibregelung» und der «Mitteilungen der Oesterreichischen Kommission für die, Orthographie­reform» sowie der darin enthaltenen Argumente ist voraus­gesetzt. Zu Beginn jedes Abschnittes wird auf die ent­sprechenden dortigen Abschnitte hingewiesen.

August 1963

Die Konferenzpräsidenten:

Dr. Fritz Stucki
Theo Wanner

Grundsätzliches

Die Schweizerische Orthographie­konferenz ließ sich bei ihren Beratungen von folgenden Ueberlegungen leiten:

  1. Das gute Funktionieren einer großen Sprach­gemeinschaft hängt unter anderem von der Beachtung gewisser sprachlicher «Spielregeln» ab; im Bereich des schriftlichen und gedruckten Verkehrs wird diese Aufgabe von der Orthographie erfüllt. Ein unüberlegter Abbau dieser «Spielregeln» müßte sich auf die Erlernung und die Handhabung der Sprache nachteilig auswirken.

  2. Diese Regeln im allgemeinen und diejenigen der Orthographie im besondern dürfen aber nicht stur zum Selbstzweck werden; im Rahmen des didaktisch und technisch nötigen Regelwerks ist dem Uebergangs­charakter mancher sprachlichen Erscheinung und der stilistischen Freiheit des Einzelnen die nötige Bewegungsfreiheit einzuräumen. Die Helferin Orthographie darf nicht zur Tyrannin werden.

  3. Die Orthographie ist, wie die Sprache überhaupt und in enger Wechselwirkung mit ihr, eine geschichtliche Erscheinung. Das geschichtlich Gewordene soll nicht ohne Not preisgegeben, das geschichtlich Zusammen­gewachsene nicht leichtfertig auseinandergerissen werden.

  4. Vereinfachung um der Vereinfachung willen, Rationalisierung um jeden Preis ist in Dingen der Sprache wie der Kultur überhaupt ein höchst fragwürdiges Prinzip; es führt zu einer geistigen Nivellierung und Verarmung, die wir grund­sätzlich ablehnen.

I. Groß- und Kleinschreibung

(WE S. 9—14, Mitt. Heft 1)

  1. Die WE schlagen den Ersatz der bisherigen Großschreibregeln durch die grundsätzliche Kleinschreibung aller Wörter (mit Ausnahme der Satzanfänge, der Eigennamen einschließlich der Namen Gottes, der Anredefürwörter und gewisser fachsprachlicher Abkürzungen) vor. In Abweichung davon empfiehlt die Schweizerische Orthographiekonferenz mit allen zu einer Stimme die grundsätzliche Beibehaltung der bisherigen Großschreibregeln, aber gemildert durch eine gewisse Lockerung in ihrer Handhabung.

  2. Die Konferenz anerkennt, die Berechtigung der Klagen über die Inkonsequenz, die Willkür und Haarspalterei eines Teils der heutigen Großschreibregeln. Sie sieht mit den WE einen Hauptgrund dieses Zustandes darin, daß sieh eine Reihe von Wörtern in gewissen Verwendungen heute in einem entwicklungsgeschichtlichen Uebergangsstadium zwischen verschiedenen Wortarten befindet, wodurch der für die bisherige Großschreibung richtunggebende Begriff «Hauptwort» in manchen Fällen fragwürdig wird (z. B. Recht / recht haben, sein Möglichstes / möglichstes tun, außer Acht / acht lassen, der Einzelne / einzelne). Dieses Uebergangsstadium bringt es mit sich, daß in solchen Fällen der eine so, der andere anders interpretiert; die orthographische Unsicherheit ist eine natürliche Folge dieser sprachgeschichtlichen Situation.

    Die Folgerung, die die Konferenz aus der Erkenntnis dieser Situation zieht, ist: Verzicht auf streng orthographische Regelung im kritischen Bereiche dieser sprachgeschichtlichen Uebergangsfälle; in diesem Bereich, dem eigentlichen Tummelplatz der mit Recht angeprangerten orthographischen Willkür und Spitzfindigkeit, soll es dem Schreibenden anheimgestellt sein, groß oder klein zu scheiben («Liberalisierung» der Großschreibregeln). Mit diesem Vorschlag würde die Orthographie genau die sprachgeschichtliche Lage spiegeln.

    Die orthographische Freigabe der erwähnten sprachgeschichtlichen Uebergangsfälle würde den gröbsten Stein des Anstoßes aus dem Wege räumen; sie gäbe dem Schreibenden zugleich die Möglichkeit, seine stilistischen Absichten von Fall zu Fall zum Ausdruck zu bringen (ursprüngliche Anschaulichkeit bei Großschreibung, Abschleifung und Gebrauchsglätte bei Kleinschreibung).

    Anmerkung 1. Dieser Vorschlag geht auf eine Anregung von Prof. Glinz zurück, die dieser seither allerdings fallengelassen hat unter dem Eindruck von Prof. Mosers Schrift «Groß- oder Kleinschreibung?» (Duden-Beiträge 1). Prof. Moser macht in dieser Schrift den sehr verdienstvollen Versuch, den vermutlichen Umfang dieser «Liberalisierungszone» abzustecken, und kommt dabei zum Schluß, daß der freizugebende Bereich viel zu groß wäre, diese Lösung also zu einem Chaos führen müßte. Prof. Mosers Nachweis hat in den Beratungen des Wiesbadener Arbeitskreises offensichtlich den Ausschlag gegeben und zur Ablehnung dieses Mittelweges geführt. Eine Nachprüfung der Moserschen Listen ergibt nun aber, daß weitaus der größte Teil der von ihm angeführten Fälle von der vorgeschlagenen «Liberalisierung» gar nicht betroffen würde, weil es sich dabei nicht um kritische, sondern um längst festgewordene, in der Praxis unproblematische Fälle handelt; der Grundsatz der vorgeschlagenen Liberalisierung strittiger und schwieriger Fälle (nur darum geht es!) wird von den viel zu extensiv angelegten Wortlisten Mosers überhaupt nicht berührt.

    Anmerkung 2. Die «Liberalisierungszone» soll so schmal als möglich gehalten werden, das heißt nur die wirklich schwierigen, bis auf den heutigen Tag unsicher gebliebenen Fälle (siehe die obengenannten Beispiele) umfassen.

  3. Wichtig scheint der Konferenz die Forderung, daß die Schule mit der Erlernung der Großschreibregeln später als heute beginne. Die Grundzüge der Großschreibung sollen zunächst nebenbei, gefühlsmäßig, durch praktische Uebung im Lesen, nicht abstrakt-regelhaft erlernt werden; erst wenn diese gefühlsmäßige Beherrschung der Hauptlinien erreicht ist, soll die bewußte Formulierung in Regeln und ein gewisser Feinausbau erfolgen.

    Auch später soll die Großschreibung in einem möglichst unpedantischen, gewissermaßen sportlichen Geist behandelt werden; mit Energie zu bekämpfen ist von den Schulleitungen und der Oeffentlichkeit jene Ueberbewertung der orthographischen Vollkommenheit, die zu den bekannten, verdammenswerten Auswüchsen mit schwierigkeitsgespickten Diktaten und zum herrschenden Verruf der Orthographie überhaupt geführt hat.

  4. Den Vorschlag der grundsätzlichen Kleinschreibung lehnt die Konferenz aus folgenden Gründen ab:

    1. Bei einer vernünftigen Handhabung der Großschreibregeln und einer der natürlichen Bedeutung der Sache angemessenen toleranten Haltung in orthographischen Dingen im Sinne der obigen Vorschläge 2 und 3 sind die praktischen Schwierigkeiten der Großschreibung nicht so groß, daß sie von einem normalbegabten Kind nicht bewältigt werden könnten oder vom Durchschnittsbürger als Anlaß dauernden Minderwertigkeitsgefühls empfunden werden müßten.

    2. Die Konferenz ist überzeugt, daß die Großschreibung in engem Zusammenhang mit der syntaktischen Entwicklung des Deutschen seit rund 350 Jahren und mit seiner seitherigen Struktur steht. Der fürs Deutsche charakteristische «synthetische» Satzbau (Adjektiv vor dem Substantiv, Verb am Ende des Nebensatzes, usw.) sowie die ebenso charakteristische wie wertvolle Leichtigkeit der Ueberführung von einer Wortart in die andere (Substantivierung, Adverbialisierung usw.) ohne weitere Veränderung als die Groß- bzw. Kleinschreibung hangen geschichtlich und wesenhaft mit den Gegebenheiten der Großschreibung eng zusammen; es ist kein Zufall, daß weitaus der größte Teil der mit Kleinschreibung verbundenen Schwierigkeiten mit solchen Fragen des typischen deutschen Satzbaus verquickt ist (s. Anhang I). Die Spannung von Großschreibung und Kleinschreibung ist also seit langem zu einer auch strukturhaften Angelegenheit des Deutschen, zu einem Problem seiner «inneren Form» geworden.

      Anmerkung: Das ist auch der Grund, warum das Argument der Fremdsprachen, «in denen Kleinschreibung doch auch möglich sei», keine Gültigkeit hat: alle diese Sprachen (auch die skandinavischen) haben einen ganz anderen Satzbau als das Neuhochdeutsche. Das gilt übrigens auch von der gesprochenen deutschen Sprache im Vergleich zu der geschriebenen.

    3. Die Abschaffung der Großschreibung im bisherigen Sinn bringt die Gefahr eines Traditionsbruchs mit sich. Unsere klassische Literatur enthält zahlreiche Sätze, die nur bei Großschreibung verständlich sind (s. Anhang I, Beispiele 29 ff.); eine Aenderung solcher Textstellen zur Vermeidung der Unklarheiten — durch Umstellung usw. — kommt natürlich nicht in Frage. Abgesehen von solchen konkreten Schwierigkeitsfällen, würde eine «Modernisierung» von gerade fälligen Neuauflagen im Sinn der grundsätzlichen Kleinschreibung zu einem höchst unglücklichen Nebeneinander kleingeschriebener neuaufgelegter und großgeschriebener nicht-neuaufgelegter Werke führen. Umgekehrt hätte die konsequente Beibehaltung der alten Großschreibung in den Werken unserer älteren Literatur bei im übrigen durchgeführter Kleinschreibung eine mit jeder Generation zunehmende visuelle Verfremdung und damit gefühlsmäßige Entfremdung dieser Werke zur Folge: einer an durchgehende Kleinschreibung gewöhnten Jugend müßten großgeschriebene Ausgaben antiquiert, verstaubt und unerträglich vorkommen; wenn nicht das elementare intellektuelle Verständnis, so wäre die feinere Gefühlsnähe ernsthaft bedroht.

  5. Anderseits glaubt die Konferenz auch den österreichischen Vorschlag Wüster (Mitt. Heft I, S. 55 ff., und Heft II, S. 3 ff.) ablehnen zu müssen, weil er eine heute nicht mehr zu verantwortende Vermehrung der Großschreibung mit sich brächte und seinerseits viele neue Inkonsequenzen und Willkürlichkeiten zur Folge hätte.

  6. Einschneidende Nachteile, die technisch schwer zu bewältigen und wirtschaftlich kaum tragbar wären, hätte das Buch- und Zeitungsgewerbe von der Einführung der Kleinschreibung zu erwarten. Wer die Konsequenzen einer solchen Maßnahme in diesem Bereich abschätzen will, hat von der Tatsache auszugehen, daß ein derartiger Eingriff in das vertraute Schriftbild von einer überwältigenden Mehrheit der an Sprache und Schrift interessierten Kreise abgelehnt wird; darüber dürfte seit der Radioumfrage des Studios Zürich kein Zweifel mehr herrschen; haben sich doch 80 % der 4301 teilnehmenden Hörer gegen die Kleinschreibung ausgesprochen. Die zweite entscheidende Tatsache ist die eindeutige Rechtslage: Es gibt in der Schweiz kein Rechtsmittel, durch das die neue Orthographie außerhalb des amtlichen Bereichs jemandem aufgezwungen werden könnte. Der Bund kann freilich, wie er dies 1902 getan hat, die Empfehlungen einer Orthographiekonferenz gutheißen und für seine Kanzleien und Regiebetriebe verbindlich erklären. Die Kantone können, wenn sie wollen, dasselbe tun, und sie können auch ihre Schulen auf diese Orthographie verpflichten. Ob aber in einer so umstrittenen Frage wie der Kleinschreibung alle 21 in Frage kommenden Kantone bzw. Halbkantone dasselbe beschließen würden, ist mehr als zweifelhaft. Ueber Amt und Schule hinaus vollends hat in dieser Sache überhaupt keine Behörde ein Verfügungsrecht. Für den privaten und geschäftlichen Schriftverkehr, für die gesamte nichtamtliche Druckproduktion hat weder ein Bundesrats- noch ein Regierungsratsbeschluß irgendwelche Rechtskraft. In diesem Bereich steht es jedem frei, das Neue anzunehmen oder abzulehnen, wie ja auch die heute geltende Rechtschreibung keinerlei Rechtsschutz genießt.

    Welch verheerende Folgen sich für das Druckgewerbe aus dieser Sachlage ergeben müssen, kann der Laie kaum ermessen. Das mit Sicherheit zu erwartende Nebeneinander zweier verschiedener Orthographien wird die Arbeit des Setzers beträchtlich verlangsamen und in unerträglicher Weise erschweren. Auf seine wertvollste Hilfe, die Gewohnheit, die «Orthographie in den Fingerspitzen», kann er nicht mehr zählen, sobald er in ständigem Wechsel nach ganz verschiedenen Regeln setzen muß. Daß er sich dabei trotz erhöhter Konzentration immer wieder vertasten wird und daß dadurch die Korrekturkosten gewaltig ansteigen werden, ist jedem einsichtigen Fachmann klar, ganz abgesehen von den Terminschwierigkeiten, die damit unweigerlich verbunden sein werden. Selbst wenn nur mit einer kurzen Uebergangszeit von einigen Wochen oder Monaten gerechnet werden müßte, wären also die Schwierigkeiten für das Druckgewerbe groß und die Kosten beträchtlich. Von Wochen oder Monaten kann aber keine Rede sein: der Umstellungsprozeß wird nicht nur Jahre, er wird Jahrzehnte dauern! Eine ganze Generation wird aussterben müssen, bevor in den Druckereien wieder einigermaßen normale Zustände herrschen.

    Vor schwere Entscheidungen würden sich die Zeitungen gestellt sehen. Sollen sie zur neuen Orthographie übergehen und damit einen großen Teil ihrer Leser vor den Kopf stoßen, oder sollen sie bei der alten bleiben mit dem Risiko, schon nach wenigen Jahren vor der jungen, nach den neuen Regeln geschulten Generation als hoffnungslos altmodisch zu erscheinen? So oder so wird es nicht ohne schwerwiegende Erschütterungen im Gefüge ihres Abonnentenstandes abgehen. Die unausbleiblichen Einbußen aber dürften für mittlere und kleinere Blätter, die sich heute gerade noch über Wasser halten können, zu einer Existenzfrage werden — eine auch aus staatspolitischer Sicht für unsern föderalistischen Kleinstaat höchst unerwünschte Erscheinung.

    Vor dasselbe Dilemma wie die Zeitungen sähe sich das Verlagsgewerbe gestellt. Ja die Verluste wären hier sogar noch verhältnismäßig größer, weil der ganze Stehsatz, der einen wesentlichen Faktor in der verlegerischen Kalkulation darstellt, mit einem Schlage wertlos würde. Für die Erneuerung des gesamten Stehsatzes in den deutschschweizerischen Druckereien müßten Millionenbeträge aufgebracht werden, und für einen großen Teil davon hätte das Verlagsgewerbe aufzukommen.

II. Zeichensetzung

[…]

III. Silbentrennung

[…]

VI. Doppelformen

[…]

V. Fremdwörter

[…]

VI. Zusammen- und Getrennt­schreibung

[…]

VII. Zur Frage des Scharf-s

[…]


ANHANG I (zur Groß- und Kleinschreibung)

Linke Spalte: Kleinschreibung nach «Wiesbadener Empfehlungen»; rechte Spalte: heutige Schreibweise

Darin forderten die protestierenden arbeiter, beamte und angestellte zur solidarität mit den bauern und obst­produzenten auf. 1 Darin forderten die Protestierenden Arbeiter, Beamte und Angestellte zur Solidarität mit den Bauern und Obstproduzenten auf.
Alle zusammen waren sie gottlose und räudige schafe, als ich zu ihnen kam. 2 Alle zusammen waren sie Gottlose und räudige Schafe, als ich zu ihnen kam.
Neben der öffentlichen hand stehe es aber auch dem privaten an, in der dorf­gemeinschaft das schöne, das edle und das geistig-sittliche leben fördern zu helfen. 3 Neben der öffentlichen Hand stehe es aber auch dem Privaten an, in der Dorfgemein­schaft das Schöne, das Edle und das geistig-sittliche Leben fördern zu helfen.
Bisher hatte der junge empfindsame großstadt­menschen in schemenhaft gespenstischer art dargestellt. 4 Bisher hatte der junge Empfindsame Groß­stadtmenschen in schemenhaft gespenstischer Art dargestellt.
In der «brousse» des Kongo leben jedoch viele weiße mit schwarzen frauen zusammen. 5 In der «Brousse» des Kongo leben jedoch viele Weiße mit schwarzen Frauen zusammen.
… der für die editorische neubelebung großer werke verschollener anerkennung und ansehen genießt. 6 … der für die editorische Neubelebung großer Werke Verschollener Anerkennung und Ansehen genießt.
Die politik der «Nationalen Partei» wird bestimmt durch die tatsache, daß sich in der Süd­afrikanischen Republik eine minderheit von 2,5 millionen weißen einer mehrheit von 8,5 millionen schwarzen eingebornen gegen­übersieht. 7 Die Politik der «Nationalen Partei» wird bestimmt durch die Tatsache, daß sieh in der Süd­afrikanischen Republik eine Minderheit von 2,5 Millionen Weißen einer Mehrheit von 8,5 Millionen schwarzen Eingebornen gegen­übersieht.
Die welt geht ihren willkürlichen gang, in dem das zufällige schicksal heißen mag, das schicksal die miene des zufalls annimmt. 8 Die Welt geht ihren willkürlichen Gang, in dem das Zufällige Schicksal heißen mag, das Schicksal die Miene des Zufalls annimmt.
Mit dieser möglichkeit, daß himmlische mit irdischen frauen kinder zeugen und diese sich dann schon bei der geburt von allen andern unterscheiden, ist damals ernsthaft gerechnet worden. 9 Mit dieser Möglichkeit, daß Himmlische mit irdischen Frauen Kinder zeugen und diese sich dann schon bei der Geburt von allen andern unterscheiden, ist damals ernsthaft gerechnet worden.
Eine sonderstellung nahmen später eigentliche siedlungen von geistes­kranken ein, wo ihnen unter dem schutz einer heiligen freiheit gewährt wurde. 10 Eine Sonderstellung nahmen später eigentliche Siedlungen von Geistes­kranken ein, wo ihnen unter dem Schutz einer Heiligen Freiheit gewährt wurde.
Es sollten nicht bettlägerige senile, asoziale kriminelle und schubweise depressive ärzte und pfleger gleichzeitig in anspruch nehmen. 11 Es sollten nicht bettlägerige Senile, asoziale Kriminelle und schubweise Depressive Aerzte und Pfleger gleichzeitig in Anspruch nehmen.
Judas erhängte sich nach drei qualvollen, grüblerischen nächten, von allen, zuletzt auch von seiner geliebten Lea, verabscheut. 12 Judas erhängte sich nach drei qualvollen, grüblerischen Nächten, von allen, zuletzt auch von seiner Geliebten Lea, verabscheut.
So war es Jungs anliegen, sie sowohl mit der vergangenheit zu verbinden als auch der zukunft zu öffnen, damit auf diese weise der zeitliche mensch dem zeitlosen in seiner seele wieder begegne. 13 So war es Jungs Anliegen, sie sowohl mit der Vergangenheit zu verbinden als auch der Zukunft zu öffnen, damit auf diese Weise der zeitliche Mensch dem Zeitlosen in seiner Seele wieder begegne.
Wer sie gelesen hat, sieht voll bewegung, wie wenig und auch wie viel dieser band enthält und wie gerade das größte fragment ist. 14 Wer sie gelesen hat, sieht voll Bewegung, wie wenig und auch wie viel dieser Band enthält und wie gerade das Größte Fragment ist.
Jene schweizer, die den deutschen boden verkaufen. 15 Jene Schweizer, die den Deutschen Boden verkaufen.
Es galt für selbstverständlich, daß ein über ein buch gebeugter geistlicher lektüre oblag. 16 Es galt für selbstverständlich, daß ein über ein Buch Gebeugter geistlicher Lektüre oblag.
Steht aber der zweck dahinter, alte zeiten wieder hervorzuholen, das böse heute zu verbannen und die ver­gangenheit zu heroisieren, so ist dies ein zeichen der schwäche. 17 Steht aber der Zweck dahinter, alte Zeiten wieder hervorzuholen, das böse Heute zu verbannen und die Ver­gangenheit zu heroisieren, so ist dies ein Zeichen der Schwäche.
Seine auch uns heutigen genuß bietenden sentenzen sind bekannt genug. 18 Seine auch uns Heutigen Genuß bietenden Sentenzen sind bekannt genug.
Mehr und mehr wendet man sich vom rein deskriptiven funktionellen fragen zu. 19 Mehr und mehr wendet man sieh vom rein Deskriptiven funktionellen Fragen zu.
Strebe nie nach der mächtigen gunst! 20 Strebe nie nach der Mächtigen Gunst!
Hier war er als konservativer liberaler und als liberaler konservativer als sein gegen­spieler. 21 Hier war er als Konservativer liberaler und als Liberaler konservativer als sein Gegen­spieler.
In der bibel ist von leuten die rede, die nur dem irdischen leben und dem jenseits nicht viel nachfragen. 22 In der Bibel ist von Leuten die Rede, die nur dem Irdischen leben und dem Jenseits nicht viel nachfragen.
Drei griechen spielen laute, zerlumpte, schwarzlockige bauern­kinder singen volkslieder. 23 Drei Griechen spielen Laute, zerlumpte, schwarzlockige Bauern­kinder singen Volkslieder.
Den derart vom schicksal getroffenen und auch den bisher von der staatlichen hilfe aus­geschlossenen flüchtlingen muß unverzüglich beistand geleistet werden. 24 Den derart vom Schicksal Getroffenen und auch den bisher von der staatlichen Hilfe aus­geschlossenen Flüchtlingen muß unverzüglich Beistand geleistet werden.
Darüber besteht kein zweifel, daß der warentransport dieser primitiven mittel zeigt. 25 Darüber besteht kein Zweifel, daß der Warentransport dieser Primitiven Mittel zeigt.
Es vermag nur noch eine stadt dem ruf nach ähnlichem gehör zu schenken. 26 Es vermag nur noch eine Stadt dem Ruf nach Aehnlichem Gehör zu schenken.
Gesucht sekundarlehrer mathematisch-natur­wissenschaftlicher richtung, der auch französisch unterrichten kann. 27 Gesucht Sekundarlehrer mathematisch-natur­wissenschaftlicher Richtung, der auch Französisch unterrichten kann.
An einer schönen brust zu ruhn, das ist ein trost. 28 An einer Schönen Brust zu ruhn, das ist ein Trost.
Fürwahr! Ich kaum ein erdenvölklein wüßte, das nicht zerstöbe wie der wüste sand … 29 Fürwahr! Ich kaum ein Erdenvölklein wüßte, das nicht zerstöbe wie der Wüste Sand …
Im kelche der blume, der farbigen, nun das stille verschließen, das liebliche ruhn. 30 Im Kelche der Blume, der farbigen, nun das stille Verschließen, das liebliche Ruhn.
Und was der ganzen menschheit zugeteilt ist, will ich in meinem innern selbst genießen. 31 Und was der ganzen Menschheit zugeteilt ist, Will ich in meinem innern Selbst genießen.
Gehorsam ist des weibes pflicht auf erden. Das harte leiden ist ihr schweres los. 32 Gehorsam ist des Weibes Pflicht auf Erden. Das harte Leiden ist ihr schweres Los.
Mitunter gräbt man aus schwarzen moorgründen … eine versteinerte wurzel, die uns nachlebende ahnen läßt … 33 Mitunter gräbt man aus schwarzen Moorgründen … eine versteinerte Wurzel, die uns Nachlebende ahnen läßt …
Bilden kann wohl der verstand, doch der tote kann nicht beseelen. 34 Bilden kann wohl der Verstand, doch der tote kann nicht beseelen.
Der liebe frühling ist vorbei … 35 Der Liebe Frühling ist vorbei …
Die liebe ist der liebe preis. 36 Die Liebe ist der Liebe Preis.
Die nachtigall hörtʼ ich so gerne, sie sang vor der liebsten tür. 37 Die Nachtigall hörtʼ ich so gerne, sie sang vor der Liebsten Tür.
Männer und frauen, deren herz und geist sich unverrück­bar auf das jenseits richten und die kraft ihres glaubens wunder zu wirken vermögen … 38 Männer und Frauen, deren Herz und Geist sich unverrück­bar auf das Jenseits richten und die kraft ihres Glaubens Wunder zu wirken vermögen …
… stand die revision des kantonalen arbeitsgesetzes auf der tagesordnung, das nunmehr an die kraft eines entscheids des bundesgerichts rechtlich zulässige initiative anpassung finden muß. 39 … stand die Revision des kantonalen Arbeitsgesetzes auf der Tagesordnung, das nunmehr an die kraft eines Entscheides des Bundesgerichts rechtlich zulässige Initiative Anpassung finden muß.
Wegen seines angesichts dieser durchaus nicht von ihm ver­schuldeten mißlichen verhältnisse verminderten selbst­vertrauens … 40 Wegen seines angesichts dieser durchaus nicht von ihm ver­schuldeten mißlichen Verhältnisse verminderten Selbst­vertrauens …
Uns bürgern fehlt die analyse der heutigen situation; statistiken und prognosen sagen uns nicht viel, versprechen noch weniger. 41 Uns Bürgern fehlt die Analyse der heutigen Situation; Statistiken und Prognosen sagen uns nicht viel, Versprechen noch weniger.
Sein leben war nur treue und selbstlose pflichterfüllung. 42 Sein Leben war nur Treue und selbstlose Pflichterfüllung.
Die amerikaner sind sich ihrer vormachtstellung auf technischem gebiet bewußt und zeigen stolz auf diese errungenschaften. 43 Die Amerikaner sind sich ihrer Vormachtstellung auf technischem Gebiet bewußt und zeigen Stolz auf diese Errungenschaften.
In meines nichts durchbohrendem gefühl … 44 In meines Nichts durchbohrendem Gefühl …
Das bedeutet aber, daß diese mitte oder dieses ziel kein zeitliches außerhalb der künstlerischen persönlichkeit ist, sondern mit ihr wandert in der abfolge der epochen. 45 Das bedeutet aber, daß diese Mitte oder dieses Ziel kein zeitliches Außerhalb der künstlerischen Persönlichkeit ist, sondern mit ihr wandert in der Abfolge der Epochen.
Indem der hintergrund und das quergelegte tuch, auf welchem das mädchen sitzt, grün erscheinen, grüßen sieh oben und unten, aber auch hinten und vorn. 46 Indem der Hintergrund und das quergelegte Tuch, auf welchem das Mädchen sitzt, grün erscheinen, grüßen sich Oben und Unten, aber auch Hinten und Vorn.
… daß der sinnzusammenhang das vorher und nachher begründe. 47 … daß der Sinnzusammenhang das Vorher und Nachher begründe.
Es scheint, als wären stube und mond, hier und dort, diesseits und jenseits einer bezweiflung unterworfen. 48 Es scheint, als wären Stube und Mond, Hier und Dort, Diesseits und Jenseits einer Bezweiflung unterworfen.
Gelingt dies geistig-künstlerisch, dann hat der maler das außen in seinem innern selbst erfahren. 49 Gelingt dies geistig-künstlerisch, dann hat der Maler das Außen in seinem innern Selbst erfahren.
Doch allen erinnerungen zum trotz bohrte das gestern immer noch in seinem herzen. 50 Doch allen Erinnerungen zum Trotz bohrte das Gestern immer noch in seinem Herzen.
In der praxis kann dieser begriff nur im sinne eines relativen mehr oder weniger begriffen werden. 51 In der Praxis kann dieser Begriff nur im Sinne eines relativen Mehr oder Weniger begriffen werden.
Selten wohl hat eine akademie so viele originale zu meistern gehabt. 52 Selten wohl hat eine Akademie so viele Originale zu Meistern gehabt.
Sie haben geschmack und vertrauen, wie ihre vorgänger vor zehn jahren, un­erschütterlich auf eine für sie günstige entwicklung der mode. 53 Sie haben Geschmack und vertrauen, wie ihre Vorgänger vor zehn Jahren, un­erschütterlich auf eine für sie günstige Entwicklung der Mode.
Der angeklagte müller hatte schon damals beziehungen zu unternehmen, die mit seiner branche eigentlich wenig zu tun hatten. 54 Der angeklagte Müller hatte schon damals Beziehungen zu Unternehmen, die mit seiner Branche eigentlich wenig zu tun hatten.
Das menschliche sein ist im unterschied zu jedem andern sein antwortendes sein, antworten müssendes und antworten könnendes sein, darin gebundenes und freies sein. 55 Das menschliche Sein ist im Unterschied zu jedem andern Sein antwortendes Sein, antworten müssendes und antworten könnendes Sein, darin gebundenes und freies Sein.

Verweis

Zum Anhang I, Groß- und Klein­schreibung
Die eigennamengrossschreibung aus der sicht des lesers

Zitat

Frank­furter All­gemeine Zeitung,

Das Gutachten ist so klar formu­liert, seine Ar­gumente be­zeichnen die ideellen und die praktischen Momente so treffend und fern jeder Ver­wirrung durch Gefühle, daß wir uns keine bessere zusammen­fassende Gesamt­darstellung nach so viel Streit vor­stellen können.